Corona-Tagebuch – 5. Eintrag

Aufgrund der aktuellen Lage, haben wir uns dazu entschieden, ein Corona-Tagebuch zu starten. Jeden zweiten Tag berichten wir darüber, wie es uns ergeht, welche Gedanken durch unsere Köpfe schwirren und was wir zuhause machen.

Seit zwei Wochen nun schon lebe ich einer Form von „sozialer Isolation“ und ich weiß noch nicht so ganz, was ich davon halten soll.

Fakt ist: Es ist anders. Aber dann doch wieder gar nicht so ungewohnt. Das einzige, was sich hauptsächlich verändert hat, ist dass ich mehr Ruhe und weniger Druck habe.
Ich habe mich bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Schulschließungen bekannt gegeben wurden, überfordert gefühlt. Habe zu wenig geschlafen, zu lange an meinem Schreibtisch gesessen und mich gefragt, ob ich nicht einen Ghostwriter beauftragen müsste, um meine Jahresarbeit fertigzustellen, weil ich in den anstehenden Klausurenphasen wohl kaum noch Zeit zum Schreiben finden würde.

Auf einmal ist dieses Gefühl einfach weg gewesen und ich weiß nicht, ob ich das gut finden soll. Es gibt Momente, in denen ich mich darüber freue, mehr Zeit nur mit mir verbringen zu dürfen und es gibt Momente, in denen ich merke, dass mir außer dem Kontakt zu anderen Menschen noch etwas fehlt: Druck und Stress.

Schaut man sich meinen Berg an Aufgaben und meine Jahresarbeit an, müsste ich eigentlich immer noch genauso gestresst wie vorher sein. Es ist rein faktisch nicht weniger geworden. Neben den Schulaufgaben und der Jahresarbeit erwarten mich nach den Osterferien dann noch zwei Klausurenphasen, nur die Reihenfolge hat sich ein wenig verschoben und der Ort des Lernens ist nun ausschließlich mein Zuhause. Ich müsste panisch sein, wenn ich auf meine To-Do-Liste schaue.

– Bin ich aber nicht. Bei mir ist eine unfassbare innere Ruhe und Gelassenheit eingekehrt.

Statt zur Schule zu gehen, gleicht mein Arbeitsverhalten dem des Hausaufgaben-Machens. Ich merke, dass es anstrengend sein kann, die ganze Zeit alleine, fokussiert zu arbeiten. Es macht eben einen großen Unterschied, ob man zwischendurch mit anderen redet und interagiert und den Lehrer*innen auch einfach mal nur zuhört oder, ob man nur produktiv ist, wenn man sich selbst aktiv mit einem Thema auseinandersetzt. Mein Arbeitstempo zuhause ist ein ganz anderes als in der Schule. Während man sich in der Schule immer am vorgegebenen Tempo orientieren muss, habe ich zuhause die Möglichkeit selbstbestimmt zu arbeiten. Ich kann mir selbst aussuchen, womit ich mich, wann beschäftige, solange ich die Abgabedaten im Blick behalte. Ehrlicherweise nervt es mich ein wenig, dass die Lehrer*innen bei den Aufgaben verschieden vorgehen. In einem Fach erhalte ich beispielsweise für jede Stunde eine Mail, in manchen wöchentlich, manche versprechen weitere Mails und teilweise habe ich das Material auf einmal bekommen. Manche Lehrer*innen haben noch einen ungefähren Zeitplan vorgegeben, manche setzen Deadlines und manche eben nicht.
Um den Überblick zu behalten und um zu kontrollieren, ob man zu lange an den Aufgaben sitzt, wäre es tatsächlich sinnvoll gewesen, seinen Stundenplan abzuarbeiten. Aber wenn ich mich einmal in eine Aufgabe vertieft habe, dann möchte ich diese auch zu Ende bringen.

Logischerweise habe ich die Aufgaben zuerst erledigt, bei denen ich eine Deadline hatte.
Ich glaube, dass ich bis zu den Ferien nicht alle Aufgaben erledigt haben werde. Das hängt vor allen Dingen mit meiner Arbeitsweise zusammen, aber es fällt mir eben schwer, mir nicht die Zeit zu nehmen, Dinge ordentlich zu machen, wenn ich zuhause bin.

Zwischendurch war ich erschrocken darüber, wie viel Zeit ich an meinem Handy verbracht habe und wie häufig ich zwischendurch drauf schaue. Aber hier habe ich mir Abhilfe geschafft: Handy aus oder Flugmodus rein, irgendwo hinlegen, wo man es nicht ständig im Blick hat und sich jedes Mal, wenn der Blick suchend über den Schreibtisch schweift, fragen: Muss ich da jetzt wirklich wieder drauf schauen?

Die größte Veränderung ist wohl, dass ich wieder mehr auf meinen Körper achte. Es gibt keinen Grund mehr spät ins Bett zu gehen, keine Hausaufgabe, die bis zum nächsten Tag erledigt sein muss, kein Kapitel der Jahresarbeit, dass ich, wenn ich den ganzen Tag gearbeitet habe, mitten in der Nacht schreiben müsste. Ich kann die Dinge, die viel Konzentration erfordern einfach morgens erledigen, wenn ich noch frisch bin. So habe ich gemerkt, dass von ganz alleine gerne früh aufstehe, wenn ich genügend schlafe.
Wenn ich Pausen brauche, nehme ich sie mir. Manchmal ist das nur der Weg zum Wasserkocher für die nächsten Teekanne, manchmal handelt es sich um eine Stunde oder mehr.

Da Schule und Training nun nicht mehr den Tagesrhythmus angeben, freue ich mich auf jedes Essen. Das ist auch noch eine Sache, die sich verändert hat: Meine Zwillingsschwester und ich kochen jetzt. Da unsere Mutter in einem systemrelevanten Beruf arbeitet und wir nicht zur Schule gehen müssen, wechseln wir beide uns jetzt mit dem Kochen ab und ich muss sagen: Es ist einfach jedes Mal aufs Neue erschreckend, wie viel Zeit fürs Kochen, Essen und Abwaschen drauf geht!

Manchmal vergesse ich zwischendurch, dass wir in einer Krise stecken, aber beim Einkaufen wird mir das jedes Mal wieder bewusst. Ich finde Einkaufen momentan einfach gruselig, weil man dort daran erinnert wird, dass eben nicht alles in Ordnung ist: Der Security-Typ, der nun im Eingang sitzt und darauf achtet, dass sich nicht zu viele Menschen im Laden befinden und dass man beim Reingehen genügend Abstand hält. Menschen, die Mundschutzmasken oder Handschuhe tragen oder vor dem Gebrauch den Einkaufswagen desinfizieren. Auf dem Boden vor der Kasse, Markierungen, damit man sich nicht auf die Pelle rückt. Plexiglasscheiben an den Kassen. Kisten, an den Stellen, wo man für gewöhnlich den Wagen hinschiebt, um den Einkauf einzupacken – all das sorgt dafür, dass ich wieder spüre, dass wir uns in einer Ausnahmesituation befinden.

Und was mich natürlich auch regelmäßig erinnert: Die Nachrichten rund um Corona – sie gehen mir mittlerweile echt auf die Nerven. Ich muss sagen, dass ich den Corona-Ausbruch am Anfang sehr intensiv verfolgt habe. Im Dezember, als das Thema noch nicht so gehyped wurde, weil es insbesondere China und andere asiatische Länder betraf, fand ich es noch wahnsinnig interessant.
Mittlerweile habe ich täglich circa 25 Push-Benachrichtigungen zu Corona in meiner Leiste und das Einfachste ist: Einmal runter scrollen – dabei bemerken, dass mich das meiste nicht wirklich interessiert – und alles auf einmal löschen. In meinen Podcasts: Überall Corona. Klar verstehe ich, dass das Thema wichtig ist, aber momentan fühle ich mich ein wenig davon überladen.
Wenn ich darüber nachdenke, wie viel Nachrichten ich täglich generell konsumieren und mit vielen unterschiedlichen Themen ich normalerweise konfrontiert werden, sind die Nachrichten momentan ein einziger Einheitsbrei…

Die Welt steht gerade Kopf. Bei uns allen hat sich etwas im Alltag verändert. Es bringt nichts, sich über die Situation aufzuregen, denn ändern können wir sie ohnehin nicht. Für mich persönlich ist die Corona-Krise das Auge eines Sturms. Urplötzlich hat er aufgehört, zu wüten, es ist leise geworden, der tosende Wind ist verstummt und man könnte meinen, es sei vorüber. Ich befinde mich aktuell in dieser Phase, in der alles entschleunigt wird, ich auf mich selbst achte, meinem Körper zuhöre und entspannt bin, da nicht zigtausend Dinge auf mich einprasseln.
Doch ich weiß, dass der Sturm des Alltags mich wieder einholen und mich jagen wird, bis ich die Klausurenphasen und meine Jahresarbeit hinter mich gebracht habe. Deswegen muss ich jetzt laufen, um einen Vorsprung zu bekommen.

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Pia Waffen (Q1)